Was hat Sie daran gereizt, einen Film über die Fans eines Ostberliner Klubs zu drehen?
Im Osten Berlins hat sich in den letzten Jahren ein neues Selbstbewusstsein entwickelt, an dem ausgerechnet ein Fußballverein großen Anteil hat.
Die Fangemeinde und das Team des 1. FC Union Berlin können auf eine lange Tradition als trotzige Schicksalsgemeinschaft zurückblicken. Sie haben
sich bis heute überraschend viel von diesem unangepassten Geist bewahrt. Das geteilte Deutschland gehört längst der Vergangenheit an. Heute schaffen neue,
oft selbst gestaltete Lebenswirklichkeiten, die mehr als nur Lokalpatriotismus sind, Raum für Identität. Wir wollten mit unserem Film vergessene Stadtteile
wiederentdecken und tief in die Kieze Ostberlins eintauchen. Dort leben Menschen, die kaum unterschiedlicher sein könnten, jedoch eines gemeinsam haben:
Union Berlin ist für sie Heimat, Kraftquelle und manchmal sogar die ganz große Liebe. So etwas ist so nur im heutigen Ost-Berlin zu finden.
Inwiefern hat das mit der Tradition des Vereins zu tun?
Die Vergangenheit des Klubs und seiner Anhänger ist in dieser Form einmalig, denn sie war verknüpft mit dem Wesen eines Staates, der heute nicht mehr existiert.
Die Anhänger waren Unangepasste in einem rigiden System. Die Aura des niemals aufgebenden Underdogs ist bis in die heutige Zeit geblieben. Es ist ein Sammelbecken
für Leute, die den Kult um den Widerstandsverein sexy finden. Was sie alle miteinander verbindet, ist mehr als nur ein Fußballverein. Um ein echter Unioner zu sein,
reicht das reine Interesse am Fußball längst nicht aus. Auch die soziale Herkunft, ein bestimmtes Alter, das Geschlecht oder die politische Ausrichtung sind nicht entscheidend.
Es hilft, wenn man Berliner ist, besser noch Ostberliner. Doch letztlich ist Union in erster Linie ein Lebensgefühl, eine Frage der Mentalität: es geht nicht ums Gewinnen,
sondern darum, selbst im drohenden Abstiegskampf möglichst nie die gute Laune und den Optimismus zu verlieren und keinesfalls aufzugeben. Und gerade dann die Treue zu halten,
wenn die Umstände schwierig oder unfair sind. Wir wollten Menschen zeigen, die es für einen weitverbreiteten Irrtum halten, dass der einzig richtige Weg nur nach oben führt.
„Ein Unioner steigt nicht ab, ein Unioner wechselt nur die Liga!“ Dieses bedingungslose Zueinanderstehen vermittelt ihnen einander einen unentbehrlichen Halt, und so fühlen
sie sich bei jedem Union-Spiel so, wie sie sich mit 20 Jahren beim ersten Spiel gefühlt haben. Oder es spüren solche, die erst 20 Jahre alt sind, bei Union das Gefühl,
endlich irgendwo verwurzelt zu sein, während die Welt drum herum sich ständig und immer schneller verändert. Diese außergewöhnliche Lebenseinstellung und der starke
Zusammenhalt der Fans haben uns fasziniert. Wir wollten diese besondere Dynamik in unserem Film erlebbar machen.
Nach DAS LEBEN IST KEIN HEIMSPIEL ist UNION FÜRS LEBEN nun schon Ihr zweiter Film, der einen Fußballklub in den Mittelpunkt stellt.
Haben Sie eine besondere Beziehung zu diesem Thema?
Vordergründig scheint es zwar immer um Fußball zu gehen, doch eigentlich interessieren uns vor allem gesellschaftliche Phänomene. Im Bereich Fußball lassen sich unendlich
viele zwischenmenschliche Konstellationen entdecken, die es spannend machen, sich öfter mit dem Thema zu beschäftigen. Wir machen ja keine Sportfilme, sondern realisieren
immer eine Art Milieustudie, die uns – und bestenfalls den Zuschauer – immer wieder überrascht. Ansonsten würden wir uns vermutlich schnell langweilen.
Der 1. FC Union Berlin mit seiner bewegten Vergangenheit ist das genaue Gegenstück zur TSG 1899 Hoffenheim, der ja immer wieder fehlende
Tradition vorgeworfen wird. War das der Reiz, sich gerade für diesen Berliner Klub zu entscheiden?
Nachdem wir uns lange Jahre und intensiv mit der TSG Hoffenheim auseinandergesetzt hatten, führte uns ein glücklicher Umstand zum 1. FC Union. Wir filmten das Aufstiegsspiel
in die 2. Liga und merkten dabei, dass es eine andere Atmosphäre, eine andere Fangemeinschaft bei Union gibt. Dieser Atmosphäre, die auch häufig als Mythos bezeichnet wird,
wollten wir auf den Grund gehen. Warum ist der Verein so besonders? Ist er es wirklich? Welche persönlichen Geschichten werden wir hinter der Fanmasse finden?
Wie haben Sie Ihre Protagonisten gefunden?
Das war im Unterschied zu Hoffenheim, wo es auf Seiten des Vereins und auf Seiten der Fans nur eine begrenzte Anzahl an Leuten gab, doch etwas schwieriger.
Wir haben unzählige Unioner getroffen und gesprochen. Immer wieder wurden uns neue Leute empfohlen, die ein besonderes Verhältnis zum Verein haben.
Und es gibt tatsächlich viele Menschen, die ihr Leben dem 1. FC Union verschrieben haben. Doch wir wollten eben keinen reinen Fanfilm drehen und suchten deshalb
auch abseits des Stadions, z.B. Leute, die sich eben keine Eintrittskarten leisten können und dennoch Sympathisanten von Union sind.
Der Verein bietet nun mal für die Leute im Kiez ein hohes Identifikationspotenzial.
Dieser Aspekt war uns wichtig. Wir haben sicher über ein Jahr gebraucht, um die geeigneten Protagonisten zu finden.
Der Film changiert zwischen Portrait eines Fußballklubs und sensibler Milieustudie. Wie haben Sie sich den verschiedenen Aspekten angenähert?
Wenn man sich mit dem 1. FC Union und seiner Verankerung im Kiez beschäftigt, merkt man schnell, dass man sich eben genau auf diese Weise annähern muss.
Dabei handelt es sich auch nicht um zwei verschiedene Aspekte, sondern vielmehr um zwei Seiten einer Medaille. Die Fans können nicht ohne den Verein,
der Verein nicht ohne seine Fans. Wir haben unsere Protagonisten in ihrem jeweiligen persönlichen Umfeld mit der Kamera begleitet, im Stadion beim Fußballspiel
kommen dann alle Lebenswege zusammen.
Sie sprachen eben von Union als Kraftquelle. Haben die Dreharbeiten auch innerhalb der Mannschaft
einen Nachdenkprozess über Verantwortung und Vorbildfunktion ausgelöst?
Die Dreharbeiten mit der Mannschaft waren von großem beiderseitigen Respekt, aber auch einer professionellen Distanz geprägt. Die Zeit mit dem Team war,
auf Wunsch der sportlichen Leitung, leider sehr begrenzt und somit kam es nicht direkt zu einem inhaltlichen Austausch während des Drehs. Wir waren froh,
die Szenen zu realisieren, die nun auch im Film zu sehen sind. Vielleicht löst der fertige Film eben jenen angesprochenen Denkprozess aus.
Christopher Quiring echauffiert sich vor laufenden Kameras über jubelnde Wessis im Stadion An der Alten Försterei.
Welche Rolle spielt die Ost-West-Thematik 25 Jahre nach der Wende noch?
Bei Chrissy Quiring war das mit Sicherheit auch der emotionalen Situation geschuldet und nicht zwingend in Ossi/Wessi gedacht. Aber natürlich ist auch
diese Thematik fest im Denken verankert. Die deutsche Teilung ist nun 25 Jahre vorbei – das ist auf der einen Seite eine lange Zeit, aber auf der anderen
Seite braucht es wohl noch ein Weilchen, bis nichts mehr davon zu spüren ist. Wir glauben zudem, dass es gerade in der jüngeren Generation weniger mit Ost/West
zu tun hat als vielmehr mit der Frage einer Heimat bzw. der Suche nach Identifikation. Nach unserem Eindruck hat sich gerade in den Stadtteilen, in denen wir
gedreht haben, im positiven Sinn ein besonderes „Ostberlin“-Selbstbewusstsein entwickelt.
Fußball und Rechtsextremismus gehören ganz sicher nicht zusammen, tauchen aber immer wieder gemeinsam auf. Warum war das für den Film kein Thema?
Rechtsextremismus ist nicht nur beim Fußball ein relevantes Thema, sondern findet sich in vielen Bereichen unseres Lebens. Unser Ziel war es, einen Film über den sogenannten
Mythos von Union Berlin zu machen und zu schauen, ob dieses besondere Verhältnis zwischen Fans und Verein filmisch zu erklären bzw. beschreibbar ist. Dabei wollten wir
diesen bestimmten Einblick in den Osten von Berlin geben. Das Thema Rechtsextremismus hätte einen anderen Ansatz, einen anderen Film erfordert. Die gleiche Frage hätte
man auch beim Hoffenheim-Film stellen können, wo man prozentual sicherlich auf die gleiche Anzahl von ideologisch rechtsorientierten Leuten stößt, doch es war in der
öffentlichen Wahrnehmung nie ein Thema. Wir selbst sind während unserer Recherche und unserer Dreharbeiten auch dieser Frage nachgegangen, sind aber nicht aktiv auf diese Thematik gestoßen –
das soll die sicherlich im Fußball vorhandene Problematik nicht beschönigen. Sie ist jedoch gesamtgesellschaftlich zu betrachten –
somit vielleicht eher eine Aufgabenstellung für das nächste Filmprojekt.